Die Brüder Fürst    BRATIA FÜRST

 

Shmuels Bericht

Krankheit und Lazarett

Als ich dann in ein Lazarett überstellt wurde, konnte ich meine Umgebung nicht mehr klar wahrnehmen. Obwohl ich verstand, dass ich nun frei war, und auch mitbekam, dass ich mit unzähligen Injektionen medizinisch behandelt wurde, wusste ich nicht, wo ich war. Ich erinnere mich, dass ich völlig ausrastete, weil man mich nichts essen ließ. Auch Wasser bekam ich nur sehr wenig. Eine Schwester wurde abgestellt, um mich zu beruhigen und mir Geschichten zu erzählen. Andere kamen und stellten Fragen und schrieben alle möglichen persönlichen Daten auf.

Mir wurde erst viel später bewusst, dass die medizinischen Behandlung und die fürsorgliche Atmosphäre nicht nur von großer Hilfe gewesen waren, sondern ursächlich dafür verantwortlich waren, dass ich überlebte.

Nichtsdestoweniger war ich verzweifelt und unglücklich. Ganz gleich wie viel man für mein Wohlbefinden unternahm, ich war nie zufrieden. In diesen Tagen kümmerte mich nicht einmal meine Familie, das muss ich zugeben.

Erst später hörte ich die Beschwerden der Pfleger und nach einiger Zeit verstand ich auch ihre Frustration etwas besser. Sie taten alles ihnen Mögliche um mein Leben zu retten, meinen Körper und meine Seele zu kräftigen, und dann war da ich, undankbar und verbittert. Solch ein Patient kann wohl den aufopferndsten Pfleger oder Arzt zur Verzweiflung treiben.

Man muss sich jedoch auch immer vergegenwärtigen, dass ich bei der Befreiung nur noch 32 Kilogramm wog und daher der Genesungsprozess sehr langsam fortschritt und lange dauerte. Außerdem bekam ich noch eine andere Art von Typhus, was wieder einen gravierenden Rückschritt bedeutete.

Einige Zeit nachdem ich meine persönlichen Daten angegeben hatte, wurde mein Name auf der Liste der Überlebenden verzeichnet. Einer meiner Onkel sah diese Liste und schickte sofort jemanden zu mir. Ďuro, der ja schon in Piešťany war, erhielt die Nachricht von meinem Überleben ziemlich zur gleichen Zeit. Er und Onkel Arpad versuchten mich zu kontaktieren. Sie konnten nicht anrufen, denn das Telefonsystem funktionierte nicht. Stattdessen schickten sie ein Telegramm, in dem sie um meine Entlassung baten.

Die offizielle Antwort des Krankenhauses besagte jedoch, dass  ich todkrank wäre und dass sie eine Überstellung in die Slowakei nicht vor meiner vollständigen Genesung erlauben würden.

Eines Tages besuchte mich Herr Fessler, der mit uns im Lager von Sered gewesen war. Er teilte dem Chefarzt mit, dass sowohl meine Familie wie auch die jüdische Gemeinde ihn mit einer Vollmacht, mich nach Hause zu bringen, geschickt hätten. Die Reaktion des Arztes fiel scharf und eindeutig aus: „Ohne Zweifel ist ihr Auftrag ehrenhaft und wichtig, Sie werden jedoch ohne den Jungen nach Hause fahren.“ Herr Fessler, ein kultivierter und erfahrenen Mann, erhob seine Stimme: „Ich bin den Eltern dieses Kindes verpflichtet und Sie werden mir nicht sagen, wer ihn zu ihnen bringen darf und wer nicht. Wir haben genug gelitten!“ Der Doktor erwiderte ihm, dass er niemanden erlauben würde, mich aus dem Krankenhaus zu bringen und wenn er das Krankenhausgelände nicht umgehend verließe, er die Polizei rufen würde. Dann gab der Arzt Herrn Fessler ein Papier mit dem medizinischen Befund, der meine ernste Verfassung darlegte. Dies hat er dann an meine Eltern geschickt.

In der Zwischenzeit verschlechterte sich mein Zustand, was unter den Ärzten große Besorgnis hervorrief. Zum ehest möglichen Zeitpunkt wurde ich dann in eine Spezialklink in Prag gebracht. Dort dauerte es vier Monate, bis sich mein Gesundheitszustand nach und nach so weit gebessert hatte, dass ich von Prag nach Piešťany überstellt werden konnte.

Herr Dohany, ein entfernter Verwander von uns, brachte mich ins Haus von Onkel Arpad und Tante Lili in Piešťany. Dort traf ich endlich Ďuro, nachdem ich ihn so lange nicht mehr gesehen hatte.

Bei meiner Ankunft war ich immer noch so mager, dass ich kaum laufen konnte. Onkel Arpad und Tante Lili brachten mich zu einem Arzt und dieser meinte: „Ich kann nicht sagen, ob der Junge noch einen oder zwei Tage lebt. Man muss darauf gefasst sein, dass er morgen früh nicht mehr aufwacht.“

Im Heim von Onkel Arpad und Tante Lili vergingen noch etliche Monate, bis ich mich gegen alle Wahrscheinlichkeit erholte. Auch bei der Rückkehr meiner Eltern war ich zu schwach, um sie vom Bahnhof abzuholen.

Im darauf folgenden Winter bekam ich schwere Arthritis und wurde erneut ins Krankenhaus gebracht – dieses Mal war es das jüdische Hospital in Bratislava. Ich blieb dort drei oder vier Monate lang. Da Arthritis mitunter eine schwere Krankheit ist und dabei auch das Herz angegriffen werden kann, wurde ich danach in einen Kurort zur Behandlung und Rekonvaleszenz geschickt. Es dauerte insgesamt ein ganzes Jahr bis ich wieder auf meinen eigenen Beinen stehen konnte und wieder wie ein normaler Mensch leben konnte.