Die Brüder Fürst BRATIA FÜRST |
|
Nach dem KriegNaftalis BerichtShmuel hat immer behauptet, dass ich der bessere Schüler als er gewesen sei, was ich jedoch nicht so sehe. Ich schloss neun Klassen mit großen Schwierigkeiten ab. Nach Abwägung aller Möglichkeiten für meine weitere Ausbildung beschlossen meine Eltern und ich, dass es für mich das Beste wäre, ein Handwerk zu erlernen. Ich schreib mich daher in einer Schule für Kunstgewerbe in Bratislava ein. Zwei Jahre lang studierte ich Fotografie und schloss diese Schule 1949 ab. Im Februar 1949, meine Eltern waren diesbezüglich schmerzlich unschlüssig, stimmten sie schließlich meiner Emigration nach Israel im Rahmen der „Jugend-Aliya“[1] zu. Shmuel, der zu dieser Zeit mit einigen Gleichaltrigen an einem Hachshara Programm[2] (der hebräische Begriff bezeichnet die Ausbildung für die Arbeit in Israel) teilnahm, arbeitete als persönlicher Gehilfe für den ersten Konsul in der israelischen Gesandtschaft in Prag. Ich war Mitglied der „El-Al Gruppe“[3] in der Ortsgruppe Bratislava von Hashomer Hatzair. Das zentrale Büro der Bewegung hatte beschlossen, dass wir einem der bestehenden Kibbuzim[4] als Mitglieder beitreten sollten. Als ich die Tschechoslowakei verließ, war es klar wie das Licht der Sonne, dass meine Eltern und Shmuel bald folgen würden. Ich habe keinen Gedanken daran verschwendet, dass vielleicht die Möglichkeit bestand, sie nie wieder zusehen. Die ganze Familie versammelte sich am Bahnhof, um mich zum Abschied zu küssen. Shmuel fuhr bis zur österreichischen Grenze mit mir mit. Von dort fuhren wir bis nach Bari in Süditalien. Nach drei Tagen Reise gingen wir an Bord der „Medex“, einem kleinen Schiff, das uns an die Küste von Israel bringen sollte. Sogar ich, der ich noch nie mit einem Schiff gefahren war, konnte sehen, wie klein, rostig und heruntergekommen das Schiff war. Und wir waren zweihundert Jugendlich an Deck. Trotz unserer Besorgnis schaffte es das Schiff über das Mittelmeer und nach einer Woche in den Hafen von Haifa. Bei unserer Ankunft in Israel waren wir alle erfüllt von Freude und Begeisterung. Direkt nach dem wir von Bord gegangen waren, mussten wir uns dem Prozess der Desinfektion mit dem berüchtigten DDT unterziehen. Dann wurden wir in ein Zentrum für Neuankömmlinge in Haifa gebracht. Dort wurde uns mitgeteilt, dass wir dem Kibbuz Kfar Masaryk[5] beitreten konnten. Es war der erste Kibbuz, den wir je besuchten. Schließlich entschied die Bewegung von Kibbuz Artzi, dass wir dem Kibbuz Maanit[6] beitreten sollten. Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt in Haifa kamen wir schließlich nach Maanit. Die Familien und die Mitglieder des Kibbuz waren noch nicht dort. Sie waren noch nicht von ihrer Evakuierung im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskrieges zurückgekehrt. Es gab immer noch Kampfhandlungen in den nahe gelegenen von Jordanien besetzten Gebieten. In Maanit waren wir Mitglieder der „Jugendgruppe“. (Dieser Begriff bezeichnete diejenigen Jugendlichen, die den Kibbuzim für die Zeit ihrer Arbeit und Ausbildung vor dem Militärdienst beigetreten waren.) In Maanit begann ein neuer Abschnitt in meinem Leben. Wir waren ca. sechzig männliche und weibliche Jugendliche im Alter zwischen sechzehn und siebzehn. Wir begannen umgehend mit der Arbeit und unserer Ausbildung. Ich selbst arbeitete in einer Zimmerei. Ich mochte dieses Handwerk, in dem ich ja schon zuvor gearbeitet hatte. Die meisten von uns betrieben auch Sport, hauptsächlich Volleyball. Ich war einer der besten Spieler in dieser Sportart. Wir waren jedoch sehr verwundert von der Tatsache, dass die Mitglieder des Kibbuz das Thema Holocaust nie erwähnten. Mehr noch, sie nahmen es nicht einmal wahr. Zum Beispiel, nachdem wir uns einmal darüber mokiert hatten, dass es nicht genug zu essen gab, hielt unsere Beraterin eine lange Rede über die schweren Zeiten in Eretz Israel. Über Mahlzeiten, die aus einem halben Hühnerei bestanden, und dergleichen mehr. Sie und ihre Kameraden dachten nie an all die Jahre des Hungers und Leidens, die wir durchgemacht hatten. Wer von uns hatte nicht von einem Ei geträumt?! Wir lebten und lernten im Kibbuz bis 1950. In diesem Jahr wurden wir in die Nachal-Einheit[7] der Israelischen Armee einberufen. Ich jedoch konnte der Armee absolut nichts abgewinnen. Ich lehnte den Militarismus ab, das Training, die Befehle und die Armee als Ganzes. Dennoch wurde ich für tauglich befunden und zur Offiziersausbildung berufen. Ich lehnte das Angebot jedoch ab. Andererseits betätigte ich mich in der Armee aktiv beim Volleyball, wurde zuerst Teamspieler bei Nachal und später im ersten Team der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Nach Beendigung meines Militärdienstes kehrte ich für kurze Zeit in den Kibbuz von Maanit zurück.
[1] Im Hebräischen wird
die Einwanderung nach Israel als Aliya bezeichnet. Dieses alte
biblische Wort bedeutet wörtlich „Aufsteigen” und hat einen
religiös-spirituellen Bedeutungsgehalt. Es ist die Verwirklichung
des rituellen Gebetsspruchs „Nächstes Jahr in Jerusalem.” Jüdische
Einwanderer werden als oleh (Pl. olim) bezeichnet. [2] Die Hachshara Programme bestehen bis heute und stellen eine Vorbereitung auf landwirtschaftliche Tätigkeiten in Palästina dar. [3] El Al, hebräisch, auf deutsch etwa "nach oben"; der Name El-Al findet sich in der Bibel in Hosea 11,7 und meint dort nach oben, zu Gott hin rufen, predigen.
[4] Als Kibbuzim (pl.)
bezeichnet man ländliche Kollektivsiedlungen in Israel mit
gemeinsamem Eigentum und basisdemokratischen Strukturen. Es gibt
etwa 270 dieser Dörfer mit einer Größe von bis zu 1000 Einwohnern,
zu Neugründungen kommt es heute kaum mehr. [5] Kfar Masaryk, wenige Kilometer südlich von Akko an der Straße nach Haifa; Ende der 1930er Jahre als Turm-und-Palisaden-Siedlung gegründet. [6] Ma'anit, am Nordende der Scharonebene, wenige Kilomter südöstlich der Stadt Pardes Hanna-Karkur. [7] Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) wurden 1948 gegründet und bestehen aus Land-, See- und Luftstreitkräften. Eine spezielle Einheit Nachal verbindet Militärdienst und landwirtschaftliche Ausbildung und beschäftigt sich auch mit der Gründung neuer Verteidigungssiedlungen an der Grenze. Jugendeinheiten gewährleisten vormilitärisches Training für Jugendliche innerhalb und außerhalb der Schulen.
|