Die Brüder Fürst BRATIA FÜRST |
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Reise zu unseren WurzelnShmuelNach Ende des kommunistischen Regimes und der Befreiung der Tschechoslowakei war es uns Israelis wieder möglich, das Land unserer Herkunft zu besuchen. Vier Jahrzehnte lang war der Gedanke an solch einen Besuch für uns undenkbar gewesen. … Wir unternahmen diese Reise nach einigem Zögern in unserer Familie und vor dem Hintergrund des speziellen Wunsches unseres Enkels Ofer, die Orte unserer Jugend zu sehen. Die Reise war unser Bar-Mitzva-Geschenk an ihn. Obwohl ich über unsere Familiengeschichte und über das Schicksal unseres Wohnhauses gut informiert war, war der Schock, den ich erlebte, wohl unausweichlich. Ich war sehr aufgeregt und nervös, als ich meine Füße wieder auf tschechoslowakischen Boden setzte. Meine Gefühle gegenüber diesem Land waren ambivalent. Einerseits war unser Leiden dort unbeschreiblich gewesen, andererseits waren wir dort geboren worden und die Lieder, Gerüche, die Aromen, die Bäume und das Gras waren alle ein Teil von uns. Unser Plan war es, mit den Orten unserer Kindheit und Jugend zu beginnen und dann eine Besichtigungstour durch das Land zu unternehmen. Unsere Gruppe bestand aus Ofer und seinen Eltern Hela und Eitan, Nira und Iri und natürlich Naomi und mir. Wir besuchten die Gräber unserer Vorfahren und entdeckten, dass einige der Gräber nicht mehr existierten und dass einige der Friedhöfe aufgelassen worden waren. Unser emotionalster Besuch war der im Friedhof von Prešov, der Geburtsstadt von Naomi. Ihr Vater war dort ermordet und auch beigesetzt worden. Der zweite Teil unserer Reise – der wohl schwierigste – war unsere Begegnung mit den Orten, die wir von früher gekannt hatten. Es war nichts übrig. Sie waren alle völlig zerstört worden. Wo einst unser Haus gestanden hatte, dem Ort unserer Geburt und Kindheit, befindet sich heute eine Brücke. Das Haus unserer Großmutter mütterlicherseits ist verschwunden. Heute stehen dort gigantische Wohnblocks. Orte, die noch kurz nach dem Krieg bestanden hatten, sind verschwunden. Ich fühlte auch körperlich, jenseits meiner Emotionen, dass eine Welt zusammengebrochen war. Ich genoss das lokale Essen und die Musik, aber nicht einen Moment lang kam mir der Gedanke, dass ich noch in dieses Land gehörte. Nicht zu denken daran, dass ich dort jemals wieder leben könnte. Für mich bedeutete die Einsicht, dass die Vergangenheit für immer verloren war, den Abschluss eines weiteren Kapitels in meinem Leben. Ich glaube, dass diese Reise auch für meine Kinder und Ofer eine sehr wichtige und bedeutungsvolle Erfahrung war. Sie überstieg in ihrer Bedeutung alle meine Vorstellungen und Gedanken, die ich mir gemacht hatte. NaftaliIch besuchte zusammen mit meiner Partnerin Rachel die Tschechoslowakei im Jahre 1989, zehn Tage vor der Samtenen Revolution, die für das kommunistische Regime des Landes das Ende bedeutete. Während dieser sieben Tage wehten noch die roten Fahnen, die Banner mit den kommunistischen Slogans waren noch zu sehen. Meine Rückkehr in das kommunistische Land war von einem eigenartigen Gefühl begleitet. Ein starker Drang zog mich in die Slowakei und zu den Stätten meines Erwachsenwerdens, die so tief in meinem Gedächtnis eingebrannt sind. Es waren sieben Tage der Trauer und der Tränen. Wir fuhren von Ort zu Ort. Ich habe viele Fotos gemacht, die ich meiner Mutter und Shmuel zeigen wollte. Ich versuchte auch mit Bekannten von früher Kontakt aufzunehmen, vor allem mit Jožko, der uns während unserer Zeit im KZ sehr geholfen hatte. Er hatte für Onkel Andor gearbeitet und hatte einige Aufträge erledigt. Er hat uns auch Lebensmittel zukommen lassen. Ihn und seine Frau habe ich getroffen. Auch mit einem entfernten Cousin, Inga, und mit einer weiteren Frau, Shmuels Mitschülerin und Freundin habe ich Kontakt aufgenommen. Ein Teil meiner Zeit in der Slowakei war den jüdischen Friedhöfen in Bratislava gewidmet. Trotz der emotionalen Last die ich während meines Besuches spürte, überkam mich am Ende ein Gefühl des Triumphs: Da bin ich nun, aus einem hoch entwickelten und blühenden Land und besuche eine rückständige und armselige Gesellschaft! Wir die Überlebenden des Holocaust sind frei und voll Leben, stolz auf unser Land. Es war ein sonderbares Triumphgefühl.
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