Die Brüder Fürst BRATIA FÜRST |
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Der Bericht von Mutter und VaterMutterNachdem Mutter von uns getrennt worden war, wurde sie auf direktem Wege von Birkenau über Bergen-Belsen in ein kleineres Konzentrationslager nahe Lippstadt im Herzen Deutschlands transportiert. Obwohl dies kein Vernichtungs- sonder ein Arbeitslager war, gab es auch hier Appelle, war auch hier die Ernährung schlecht, waren die Bedingungen im Allgemeinen kurz gesagt mörderisch.[1] Die Arbeit bestand aus dem Nähen von Uniformen und der Herstellung von militärischer Ausrüstung für die deutschen Truppen. Jüdische Frauen arbeiteten Seite an Seite mit normalen Arbeiterinnen, die ins Lager kamen. Diese Arbeiterinnen waren aus zwei Gründen sehr wichtig: erstens fungierten sie als Informationsquelle über die politische und militärische Lage und zweitens waren sie eine Quelle für ins Lager geschmuggelte Lebensmittel. Mutter teilte ihr Stockbett mit Vali (später Frau Frank für uns). Sie wurden gute Freundinnen und ihre gegenseitige Unterstützung trug dazu bei, ihre Moral so weit wie möglich zu heben, half ihnen zu überleben. Vali war eine verheiratete Frau, ihr Ehemann kam jedoch nie mehr aus den Lagern zurück. Nach dem Krieg heiratete Sie, dank Mutters Vermittlung, Lapeš Frank, den Cousin von Vater. Mutters Leiden in diesem Lager dauerte bis zum Ende des Krieges. Wegen seiner Lage war das Lager eines der letzten, das befreit werden sollte. Beim Einrücken der Alliierten ins Lager kamen zwei amerikanische Soldaten auf sie zu und sagten: „Sie haben einen Sohn in Buchenwald!“ Vor der Einnahme von Lippstadt hatten diese GIs offenbar in derjenigen Einheit gedieht, die auch Buchenwald befreit hatte. Zufälligerweise hatten sie Naftali wohl gesehen und sich an mein Gesicht erinnert, bis sie dann Mutter trafen. Von diesem Augenblick an glaubte Mutter, dass ihr Sohn am Leben wäre und ihr Herz war darum mit neuer Hoffnung erfüllt. Und so war es dann auch! Wir hörten, dass Mutter überlebt hatte, aus dem Radio. Damals gab es eine Radiosendung, die Namen von Überlebenden veröffentlichte. Nach ihrer Befreiung kam sie nach Bratislava. Dort trafen wir sie wieder. VaterNachdem wir getrennt worden waren, blieb Vater für eine Zeit in Birkenau. Nach zwei Wochen wurde er in das Konzentrationslager Dachau transportiert. Dort arbeitete er unter fürchterlichen Bedingungen in der Tischlerei. Nicht wenige unserer Bekannten, die in dieses Lager gebracht worden waren, haben nicht überlebt. Vaters Überleben war wirklich ein Wunder, vor allem wenn man seine partielle Lähmung seit seinem Schlaganfall, in Betracht zieht. Als sich die Frontlinie Dachau näherte, wurden die Häftlinge des Lagers in LKWs und zu Fuß evakuiert. Vater war unter denjenigen, die auf den Marsch geschickt wurden. Er wurde schließlich befreit, als er gerade nach Garmisch Partenkirchen, einer schönen deutschen Stadt in Südbayern, marschierte. Einige Tage nach ihrer Befreiung machten er und seine Freunde ein Lagerfeuer, um sich zu wärmen. Plötzlich explodierte etwas. Die Flammen waren auf vergrabene Munition gestoßen und hatten diese zur Explosion gebracht. Eine Schrapnelladung verwundete Vater am Kopf, knapp neben seinem Auge. Er verlor viel Blut. Später meinte er uns gegenüber, dass er in diesem Moment das Schlimmste befürchtet hatte. Zu unser aller Glück blieb nur eine Narbe von dieser Verletzung. Vater kehrte in relativ guter physischer Verfassung nach Bratislava zurück. HeimkehrSchon auf ihrem Weg nach Hause entdeckte Mutter den Namen von Vater auf einer Liste von befreiten Überlebenden. Erst bei ihrer Rückkehr nach Bratislava erführen sie jedoch von unserem Überleben. Mutter sagte uns später immer wieder, dass während der gesamten Zeit ihres schrecklichen Aufenthaltes im Lager alle ihre Gedanken und Sehnsüchte uns galten. Ihre einzige Hoffnung und ihr einziger Wunsch war es gewesen, uns wieder zu sehen. In der Tat, so lang sie lebte, akzeptierte sie alles mit Bescheidenheit und ohne große Ansprüche. So bedurfte es einmal einiger Überzeugungsarbeit, den Fernseher in ihrer Wohnung zu ersetzen. Sie war mit dem, was sie hatte zufrieden. Wieder in BratislavaDas Haus, in dem wir vor dem Krieg gelebt hatten, war eine unbewohnbare Ruine. Es hatte keine Türen, Fenster, keinen Strom mehr. Unsere Eltern mieteten daher eine Wohnung in der Koziastraße Nummer 25 in Bratislava. Langsam erholten wir uns von unseren Wunden. In den ersten Tagen aßen wir bei der Jüdischen Gemeinde, aber bald danach richteten wir uns in unserem neuen Zuhause ein. Im Herbst 1945, ein paar Monate nach Ende des Krieges, wussten wir bereits, dass in unserer weiteren Verwandtschaft nur Onkel Andor und seine Familie – insgesamt vier Seelen - Tante Lili mit ihrer Tochter Eva, Onkel Arpad und wir vier überlebt hatten. Keine anderen Familienmitglieder sonst hatten das Grauen überlebt. Nichtsdestoweniger versuchten wir weiterhin mit aller Kraft, etwas über das Schicksal unserer Lieben herauszufinden, die nicht mehr zurückkamen. Als die Zeit verging erfuhren wir, dass alle, die bereits 1942 deportiert worden waren, ermordet wurden. Dieses Schicksal teilten Tante Lido und ihr Sohn Hanzi, wie auch Onkel Laci, seine Frau Stela und Tochter Marika. Sie waren alle direkt in die Vernichtungslager geschickt worden – einige nach Majdanek, andere nach Treblinka. Die Deportierten von 1944, die gesamte Familie Rosenzweig – drei Brüder und ihre Frauen – wurden in Auschwitz ermordet. Vor dem Krieg hatten sie ein Papierwarengeschäft in Predmier besessen. Herr Link, ihr Geschäftspartner, kam mit ihnen um. Der Vater der Rosenzweigs, ein alter und kranker Mann, wurde von den Deutschen nicht deportiert. Er starb knapp vor Ende des Krieges. Über das Schicksal von Rudi, dem Bruder von Mutter, erfuhren wir nie etwas. Ebenso erging es uns mit Herrn Weiner, dem Ehemann von Tante Lili. Wir wissen jedoch, dass unsere Großmutter mütterlicherseits direkt in ein Todeslager gebracht wurde. Tante Anička verstarb Anfang 1944 in Piešťany. Unmittelbar nachdem wir unser neues Zuhause eingerichtet hatten, gingen wir wieder zur Schule. Um aufgenommen zu werden, mussten wir uns einer Prüfung unterziehen. Naftali erklärte jedoch, dass er sich nicht prüfen lassen werde, da er wegen seiner langen Abwesenheit von der Schule sowieso nicht bestehen würde. Trotzdem konnten wir ihn überreden, doch zur Aufnahmeprüfung zu gehen. Wir versicherten ihm, dass die Schulbehörde sein Schicksal ernsthaft berücksichtigen würde. Beide wurden wir in der Schule aufgenommen. Zur gleichen Zeit wurden wir auch Mitglieder der jüdischen Jugendbewegung. Während Naftali der „Hashomer Hatzair“[2] beitrat, wurde Schmuel Mitglied bei „Maccabi Hatzair“[3]. Einmal sagte Naftali zu Shmuel: „Hör mal. Eigentlich gibt’s keinen Grund, dass du immer noch zu Maccabi gehst. Der Tischtennistisch ist nämlich bei Hashomer Hatzair viel besser.“ Und so fanden wir uns beide bei Hashomer Hatzair wieder. Kurz nach unserer Rückkehr wurde ein Teil unseres Besitzes an uns rückerstattet. Das Holzlager hatte seinen Betrieb auch während des Krieges unter der Leitung des „Arisierers“, der es von Vater übernommen hatte, weiter geführt. Vater kontaktierte ihn und forderte die Rückgabe seines Betriebes. Der Nichtjude verweigerte dies mit dem Argument, dass er es legal in seine Hände bekommen hätte. Im Laufe ihres Gespräches tippte Vater auf seine Gesäßtasche und sagte: „Wenn du den Betrieb nicht aufgibst, wirst du bald sehen, was passiert.“ Der Mann hatte keinerlei Ambitionen herauszufinden, ob Vater wirklich eine Pistole in seiner Hosentasche hätte. Pfeilschnell rannte er davon, und Vater übernahm wieder seinen Betrieb. Einige Zeit später legten die beiden Männer ihren Streit bei. Vaters Betrieb blühte dank der rapiden Entwicklungen im Land wieder auf. Er fand auch einen jüdischen Partner für seinen Betrieb. Die Einkünfte erlaubten es uns, in ein schönes und geräumiges Haus am Stadtrand zu übersiedeln. Später konnten wir sogar ein Hausmädchen und eine Köchin anstellen. Zu dieser Zeit wurde auch das Haus, in dem wir geboren worden waren und in dem wir bis 1938 gelebt hatten, renoviert. Unsere Eltern wollten jedoch nicht mehr dort einziehen. Am 18. Dezember 1945 organisierten unsere Eltern eine bescheidene Bar-Mitzva-Feier für Naftali. Unter den Geschenken, die er erhielt, war auch feinstes Leder für seine Schuhsohlen. Er war von diesem Geschenk sehr angetan und behielt es immer in seiner Erinnerung. Jahrzehnte später, in einem anderen Land, kaufte er für seinen Enkel ein ähnliches Geschenk. Es wurde ein Symbol, eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Im Dezember 1945 nahm Naftali an einem Winterlager von Hashomer Hatzair in den Súľov-Bergen teil. Dort wurde das zukünftige Kibbuz Lehavot Chaviva proklamiert. Shmuel war nicht auf diesem Lager, da er wegen seiner Arthritis noch im Krankenhaus lag. Wegen unseres Altersunterschiedes besuchten wir natürlich verschiedene Klassen in der Schule. Diese Tatsache und auch Shmuels gesundheitliche Probleme führten dazu, dass sich unsere Wege im Alltag trennten. Eines war für uns beide sonnenklar, dass die Jugendbewegung, die auf eine Emmigration nach Eretz Israel ausgerichtet war, für uns von größerer Bedeutung war als die Schule. [1] In Lippstadt bestanden zwei Außenkommandos des KZ Buchenwald. In diesen wurden jüdische wie auch zivile Zwangsarbeiter, zwei Drittel davon Frauen, beschäftigt. Die meisten von ihnen kamen aus Osteuropa und wurden vorwiegend in der Rüstungsindustrie, aber auch in kleineren Betrieben, in der Landwirtschaft und in Privathaushalten eingesetzt. Das Leben der verschleppten Arbeitskräfte war vor allem in der Industrie oft sehr hart, viele starben an den Folgen der schlechten Versorgung. Vgl. Burkhard Beyer: Zum Arbeitseinsatz nach Lippstadt. Die jüdischen Frauen in den KZ- Außenkommandos Lippstadt 1944 und 1945. Heimatbund Lippstadt 1994. [2] Hashomer Hatzair (hebräisch „Die junge Garde“) ist eine zionistisch-sozialistische Pfadfinderbewegung, gegründet 1916 eine der ältesten aktiven jüdischen Jugendbewegungen überhaupt. Ziel der Bewegung ist es, junge Menschen im Sinne der Ideale des Zionismus und Sozialismus und der Völkerfreundschaft zu erziehen und sie zu verantwortungsbewussten und verantwortungsbereiten Mitgliedern ihrer jeweiligen Gesellschaften zu erziehen. Heute sind gut 20.000 junge Menschen weltweit Mitglieder von Hashomer Hatzair. Auch das 2001 mit dem UNESCO Preises für Friedenserziehung ausgezeichnete jüdisch-arabische Zentrum für Frieden Givat Haviva ist Teil dieser Organisation. [3] Maccabi Hatzair: Gegründet 1916 aus zwei galizischen Bewegungen: Tzeirei Zion und HaSchomer. Die Ideologie ist sozialistisch, aber auch von A. D. Gordon und Trumpeldor inspiriert. Von Anfang an wurden Hebräisch, Pionierbewegung, organisierte Besiedlung Eretz Israels und Selbstverteidigung betont. In den polnischen Zentren gab es 1939 70.000 Mitglieder. Sie waren in der Verteidigung und im Widerstand aktiv.
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