Die Brüder Fürst BRATIA FÜRST |
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Nach dem KriegShmuels BerichtIch kann nicht sagen, ob mich die Schule oder die Jugendbewegung mehr interessierte, das Lernen für die Schule bereitete mir jedoch große Schwierigkeiten. Ich schaffte kaum die zwei Klassen, die ich noch absolvieren musste. Es war mir oft unmöglich mich auf die Fächer zu konzentrieren und dem genauer zu folgen. Ich passte nicht mehr in das System der Schule hinein. Alles was in meiner früheren Kindheit existiert hatte, hatte sich in Luft aufgelöst, und ich war unfähig, es wieder zu beleben. Es kam der Moment, an dem meine Überzeugung die Oberhand gewann, dass wir nicht mehr an diesen Ort gehörten. Nach eineinhalb Jahren stieg ich aus der Schule aus und absolvierte ein “Hachshara Programm“ in Košice. Später verbrachte ich noch ein Jahr in einem landwirtschaftlichen Ausbildungsprogramm in Bayern. Nach der Ideologie der Bewegung gab es drei zentrale Prinzipien: Eretz Israel zu besiedeln, das Land zu bearbeiten, und ein Pionier zu sein. Für mich war es klar, dass es keinen Grund gab, in der Slowakei zu bleiben. Je mehr Zeit verging, desto stärker wurde diese Überzeugung. Es dauerte etwa zweieinhalb Jahre bis das Nachkriegsregime in der Tschechoslowakei zerbrach, nur um von einer kommunistischen Diktatur ersetzt zu werden. Ihre Vertreter begannen damit unsere Familie zu schikanieren, da unser Vater als wohlhabender Mann galt – und das mochten sie nicht. Darüber hinaus war er Jude. Da der Antisemitismus wesentliches Merkmal der neuen Regierung darstellte, war auch diese Tatsache nicht zu seinen Gunsten. Eines Tages kam eine Abordnung in unser Haus und forderte uns auf, dieses zu verlassen. Die Agenten behaupteten, dass die Wohnung für drei Personen zu groß wäre. Das passierte just an dem Tag, als ich von einem freiwilligen Arbeitslager, das von der sozialistischen Bewegung organisiert worden war, zurückkehrte. Zum Abschluss dieses Einsatzes hatte ich ein Ehrenzeichen und eine Dankesurkunde für meinen Beitrag für das Land erhalten. Mit dieser Urkunde in meiner Hand wandte ich mich an die Agenten und sagte: „Wie kann das sein, auf der einen Seite bekomme ich diese Urkunde und auf der anderen Seite kommt ihr und wollt mich aus meiner Wohnung werfen?!“ Ich glaube, dass meine Standhaftigkeit sie davon abgehalten hatte, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Trotz dieser widrigen Umstände wollten meine Eltern in Bratislava bleiben. Ich versuchte sie davon zu überzeugen, dass sie nach Israel emigrieren sollten und erklärte ihnen, dass ich trotzdem auswandern würde. Mein letztes Trainingsprogramm war in Unhošt, einem Dorf fünfzig Kilometer von Prag entfernt. Es handelte sich dabei um ein reines landwirtschaftliches Ausbildungsprogramm. Ein ernstes Problem stellte sich jedoch. Es gab nicht genügend Jobs für uns alle im Hachshara Programm. Daher wurden einige nach Prag geschickt, um hauptsächlich innerhalb der zionistischen Bewegung und der Jewish Agency[1] zu arbeiten. Eine Anstellung in der israelischen Vertretung sollte mir dann zufallen. Ich wurde der Sekretär von Rafi Benshalom, dem ersten Sekretär und Generalkonsul der Gesandtschaft. Rafi, ein Mitglied des Kibbuz von Haogen, verstarb vor einigen Wochen. In dieser Funktion kümmerte ich mich vornehmlich um Reisepässe, Transitpapiere und konsularische Angelegenheiten. Ein weiterer Arbeitsbereich war die Überstellung von Maschinen für Holzverarbeitung und Schlossereien, wie auch LKWs zu unseren zukünftigen Kibbuzim in Israel. Wir finanzierten diese Geräte durch Geldmittel, die wir in unserer Zeit bei der Bewegung sammelten, und später im Hachshara Programm und durch Erbschaften unserer Mitglieder aufbrachten. Der ursprüngliche Plan war, in Israel mit diesem Material anzukommen, um dort sofort mit der Produktion von Gütern für die Kibbuzim beginnen zu können. Leider bekamen wir nur für einen Teil der Maschinen die Ausfuhrgenehmigungen aus der Tschechoslowakei. Den Devisenüberschuss transferierten wir via Österreich nach Deutschland. Dort erwarben wir die notwendigen Geräte und verschifften diese dann nach Israel. Zur Zeit unserer Ausbildung bei Hachshara waren bereits die Kommunisten in der Tschechoslowakei an der Macht. Es war allen jüdischen Kommunisten sehr bewusst, dass die Möglichkeit aus dem Land nach Israel auszureisen zeitlich begrenzt war. Alle jüdischen Einrichtungen und vor allem die Jugendbewegungen, unter denen Hashomer Hatzair eine führende Position einnahm, drängten die Juden, das Land so rasch wie möglich zu verlassen, denn die Grenzen würden bald geschlossen werden. Jeder Tag brachte neue Maßnahmen und Einschränkungen mit sich. Zu Beginn schienen sie ausschließlich auf das wohlhabende Bürgertum ausgerichtet zu sein. Bald jedoch nahmen sie die Form eines scharfen Antisemitismus an. Eine Atmosphäre der Auflösung griff unter denjenigen Menschen um sich, die vorhersahen, was passieren würde. Nach dem ursprünglichen Plänen sollte ich zusammen mit meinen Eltern nach Israel aufbrechen, sogar vor Naftalis Abreise. Da sich jedoch das Ende der zionistischen Organisationen in der Tschechoslowakei abzuzeichnen begann, wurde ein Notplan erstellt. Weil ich eine Schlüsselposition innehatte, entschieden wir, dass ich so lange wie notwendig in meinem Posten verbleiben sollte. Die meisten meiner Altersgenossen von Hachshara verließen das Land 1948 und ich war für 1949 vorgesehen. Nafatli emigrierte im Februar 1949. Onkel Andor und Tante Berta brachen nach Israel im April 1949 auf. Zu dieser zeit packten meine Eltern ihre Habe in einen Container und verschifften diesen nach Israel. Wir verlißen Bratislava am 20. April 1949 per Eisenbahn nach Bari in Süditalien. Dort verbrachten wir einige Zeit in einem Lager für Auswanderer. Es war unser erster Kontakt mit der westlichen Welt und wir sahen zu ersten mal das Meer. Von beidem waren wir sehr beeindruckt. Nach einigen Tagen in Bari gingen wir an Bord der „Galila“. Das Schiff war überfüllt und die allgemeinen Bedingungen waren sehr schlecht. Zusätzlich war die See unruhig; die meisten Menschen wurden seekrank. Wir erreichten die Küste vor Haifa am 5. Mai 1949. Naftali erwartete uns am Hafen. Er trug ein blaues Hemd und khakifarbene Shorts mit einem breiten Gürtel. Er erzählte uns später, dass er den gesamte Kibbuz nach diesen Dingen abgesucht hatte, nur um wie ein Israeli auszusehen. Nach der Prozedur der DDT-Desinfektion verabschiedete ich mich von meinen Eltern und bestieg einen Lastwagen zum Kibbuz Merchavia. Ich glaube, dass mein Eingewöhnungsprozess in Merchavia gut verlaufen ist. Die Stimmung und Haltung, die uns hier entgegengebracht wurde, war fair. Es war nicht einfach, sich an das heiße Klima in Israel zu gewöhnen. Der Winter von 1950 mit ungewöhnlich viel Schnee kam jedoch bald. In diesem Winter übersiedelten wir aus unseren Zelten in die Schülerheime von „Mossad Chinuchi“ (eine Bildungseinrichtung mit einer Art Mittelschule). Sie waren speziell für uns geräumt worden. Im Laufe des Jahres, das wir in Merchavia verbrachten, lernten wir viele Dinge und auch das Land kennen. Für die Bewegung Hashomer Hatzair war es damals das „Zentrum der Welt“. Während meines Aufenthaltes in Merchavia war ich auch intensiv mit den Vorbereitungen zur Gründung unseres eigenen neuen Kibbuz Lehavot Chaviva beschäftigt. Als Tischler arbeitete ich gemeinsam mit anderen an der Errichtung von Holzhäusern und ihrer Innenausstattung, einem Speisehaus, der Gestaltung des Umlandes und der Anlage, und vieles mehr. Im Oktober 1949 feierten wir die Gründung des Kibbuz. Es bifindet sich auch heute noch am selben Ort, wurde dann aber in Moshav Sde Yitzhak umbenannt. Im Sommer von 1950 übersiedelten wir auf das Gelände des Kibbuz Lehavot Chaviva. Diese Umsiedlung erforderte zusätzliche Arbeiten an den Unterkünften. In jedem Raum, meist drei mal drei Meter, waren vier Menschen untergebracht. Naomi und ich richteten uns einen Familienraum ein. Da dies in unserem Kibbuz noch nicht vorgesehen war, leerten wir den Container meiner Eltern und zogen dort ein. Obwohl es dort kein Wasser und keinen Strom gab, waren wir glücklich. Wir heirateten nach kurzem und begründeten so unser Familienleben. Wir haben zwei Söhne und eine Tochter: Eitan, unser Erstgeborener, war 26 Jahre alt als er Hela Har’el heiratete. Sie leben in Ramat Hasharon und haben drei Kinder: Ofer, achteinhalb, Yael, vierzehn, und Maya, sieben. Nira, unser zweites Kind, heiratete Shuli Gal aus dem Kibbuz Baram[2]. Auch sie haben drei Kinder: den neunjährigen Livnat, Adar und Maayan, sieben bzw. fünf. Unser jüngster Sohn Iri heiratete Eti Oved. Sie leben mit uns im Kibbuz. Sie haben zwei Töchter, Gal und Chen, fünf und drei Jahre alt, und einen Sohn, der 1999 zur Welt kam.
[1] Offiziell wurde die
Jewish Agency - hebräisch: ha-Sochnut ha-jehudit - am 11. August
1929 auf dem 16. Zionistenkongress errichtet. Die Jewish Agency war
die im Völkerbundsmandat für Palästina vorgesehene Vertretung der
Juden und diente dem britischen Mandatar als Ansprechpartner. Allein
sie war befugt, mit dem Mandatar zu verhandeln. Die Jewish Agency
war aber ebenso verantwortlich für die internen Angelegenheiten der
in Palästina lebenden Juden, des Jischuw: Immigration, Zuweisungen
von Zertifikaten, die von dem britischen Mandat erstellt worden
sind, Umsiedeln neuer Migranten, Bauen neuer Siedlungen, Ökonomische
Entwicklung, Erziehung und Kultur, Krankenhäuser und
Gesundheitswesen. [2] Bar'am, in Obergalilä, 20 km nordwestlich von Safed nahe der libanesischen Grenze.
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