Die Brüder Fürst BRATIA FÜRST |
|
Nach dem KriegDer Bericht unserer ElternUnsere Eltern wurden vom Hafen in Haifa in das Auffanglager von Shaar HaAliya gebracht. Sie wurden dort in einem von der Jewish Agency errichteten und mit Eisenbetten ausgestatteten Zelt untergebracht. Das war für Menschen ihres Alters nicht einfach – Vater war damals bereits einundfünfzig und krank. Noch in Bratislava hatte er seinen Cousin, Mišo Hecht, gebeten, ein Zimmer oder eine Wohnung für sie anzumieten, sodass ihnen die ermüdende Erfahrung eines Auffanglagers erspart bleiben würde. Seine Reaktion – wir wollen eigentlich nicht weiter darauf eingehen – war nicht sehr schicklich. Kurz: bei der Ankunft unserer Eltern in Israel merkten sie, dass von Vaters Cousin keinerlei Vorbereitungen getroffen worden waren. Der Aufenthalt von Mutter und Vater in dem überfüllten und unerfreulichen Lager war für sie ziemlich traumatisch. Es war für sie sehr bedrückend, dass sie sich vor dem Wasch- oder dem Speisehaus anstellen mussten, dass sie in einem Zelt hausen mussten. Wir beide waren erschüttert, als wir sie im Lager wieder trafen. Ein Monat verging. Sie mieteten sich ein Zimmer im Hotel Weiss in Haifa. Vater kontaktierte einige Freunde und versuchte so, wieder in einen Betrieb Fuß zu fassen. Alle Versuche scheiterten jedoch. Mutter beschäftigte sich eine Zeit lang mit Näharbeiten, aber ihr Einkommen war sehr kärglich. Das ihnen zur Verfügung stehende Geld schwand rasch, und Vater war sehr verzweifelt. Unter diesen Umständen, ihren finanziellen und sozialen Problemen, beschlossen wir beide, dass wir die Verantwortung für das Wohlergehen unserer Eltern in die Hand nehmen mussten. Zusätzlich zu all diesen Schwierigkeiten wurde Mutter auch noch krank. Einige Wochen lang nahmen wir sie zu uns nach Maanit und Merchavia. Wir alle durchlebten damals eine sehr schwierige Zeit. Im Gegensatz zu unseren Eltern waren wir glücklich und trotz der kärglichen Lebensbedingungen in Zelten erschien uns die Zukunft viel versprechend. Wir hatten unsere Arbeit, lernten Hebräisch und waren Teil eines sozialen Netzes. Im Herbst 1950 gründeten Shmuel und seine Kameraden den Kibbuz Lehavot Chaviva. Kurz danach beschloss unsere Familie, dass auch unsere Eltern diesem Kibbuz beitreten sollten, mit dem Status als Eltern eines Mitglieds. Zu dieser Zeit lebten bereits Naomis Mutter und Stiefvater im Kibbuz (Das war noch bevor Shmuel und Naomi geheiratet hatten). Es war keine leichte Entscheidung, denn es mangelte an vielem in diesen ersten Tagen eines jungen Kibbuz. Die Nähe zu Shmuel verschaffte ihnen jedoch ein Gefühl der Sicherheit und Ruhe. Sie wurden in einer Hütte untergebracht und richteten diese mit den Möbeln, die sie aus der Tschechoslowakei mitgebracht hatten, ein. Ein neues Leben begann damit auch für sie: Vater arbeitete in einer Tischlerei und Mutter in der Wäsche- und Näheinheit des Kibbuz. Der Kibbuz war die vernünftigste Lösung, die wir für ihr neues Leben anbieten konnten. Unsere Eltern bedauerten es nie, nach Israel gekommen zu sein. Für Vater war die Entscheidung ein neues Leben zu beginnen nicht leicht gewesen, und es hatte ihm einiges an Überwindung gekostet. Er war nie ein Mensch gewesen, der davon geträumt hatte, nach Amerika oder Australien zu gehen. Andererseits hatte die sich verändernde politische Lage in der Tschechoslowakei ihn zu diesem Schritt ermutigt. Wir hörten die Nachrichten und Gerüchte über Judenverfolgungen in der Slowakei und all die Schwierigkeiten, denen die Juden dort ausgesetzt waren. Daher priesen wir jede Minute, die wir nicht in diesem Land verbringen mussten. All unsere sozialen Kontakte zu Menschen und Freunden, die dort lebten, haben wir abgebrochen, denn wir fürchteten, dass sie wegen ihrer Verbindungen zu Israel und Juden verfolgt würden. Die meisten von ihnen verbargen ihre jüdische Identität. 1950 als unser Sohn Eitan geboren wurde, änderte sich unser Leben auf signifikante Weise. Unsere Eltern waren glücklich mit unserer nun vergrößerten Familie zu leben. Wir können mit besten Gewissen sagen, dass Mutters Leben im Kibbuz ein erfülltes war. Im Gegensatz zu ihr war Vater jedoch voller Kritik. Er war nie ein Sozialist gewesen, aber andererseits kam er mit den Männern im Kibbuz sehr gut aus. Er liebte Witze, hauptsächlich auf Ungarisch. Er mochte diese Sprache und unterhielt sich oft mit den Menschen, die aus Ungarn gekommen waren. Während Vaters Hebräischkenntnisse ausreichend waren, sprach Mutter diese Sprache fließend. Ihre gesamte Integration in das israelische Umfeld war erstaunlich. Ihr Leben von neunzig Jahren war in gleich große Abschnitte geteilt: fünfundvierzig Jahre lang lebte sie in der Tschechoslowakei, und fünfundvierzig Jahre lang in Shmuels Kibbuz in Israel.
|