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Kindheit und Familie
Mutter und Vater
Natürlich ist die
Geschichte unserer Eltern hier die zentrale.
Mutter war eine
außerordentlich schöne Frau. Sie wurde als die Schönheit ihres Dorfes
angesehen und von vielen Männern umworben. Bekannt als gebildete junge Frau,
ging sie bis zum Alter von sechzehn oder siebzehn zur Schule. Sie sprach
zwei Sprachen. In ihrer Jugend spielte sie auch Klavier, wie es für ein
Mädchen aus gutem, jüdischem Hause üblich war. Dann aber kam der „galante
junge Mann“ aus der großen Stadt, Artur Fürst.
Wir wissen nicht genau,
wie sie sich getroffen haben. 1929 jedenfalls, nachdem sie sich ein oder
eineinhalb Jahre gekannt hatten, fand die Hochzeit im „Termia“, Piešťanys
feinstem Hotel, statt. Wir schätzen uns glücklich, eine Fotografie, die zu
diesem Ereignis gemacht wurde, zu besitzen.
Unmittelbar nach der
Hochzeit übersiedelte unsere Mutter zu Vater nach Pressburg. Ihre Mitgift
war nicht besonders groß, aber andererseits besaß mein Vater damals bereits
das Lagerhaus und die Firma. Das Haus wurde später gebaut.
1931 wurde Shmuel, ihr
erstes Kind, geboren. Ein Gynäkologe, er stammte aus der Familie meiner
Großmutter (= Familie Frank), erklärte meiner Mutter: „Auf den
Geburtsstationen in Krankenhäusern ist das Risiko von Infektionen sehr hoch.
Ich werde das Kind daher bei dir zu Hause auf die Welt bringen.“ Und so
wurde Shmuel zu Hause geboren.
Diese Zeit war von großer
wirtschaftlicher Prosperität in der Tschechoslowakei geprägt. Ausgezeichnete
Bedingungen des freien Handels, wirtschaftlicher Initiativen und kultureller
Freiheit herrschten vor. Zweifelsohne sahen sich die Juden als Teil dieses
Landes und taten ihr Möglichstes persönlich voran zu kommen und gleichzeitig
auch ihren Beitrag für die Wirtschaft und Gesellschaft der Tschechoslowakei
zu leisten.
In diesem Umfeld machte
die Firma meines Vaters wirtschaftlich einen großen Schritt vorwärts. Neben
dem täglichen Verkauf von Nutzholz und Baumaterialien, engagierten sich er
und Onkel Laci auch im Großhandel. Sie kauften ganze Zugladungen auf, um sie
an andere Großhändler weiter zu veräußern. Das trug natürlich nicht
unwesentlich zum Wohlergehen der ganzen Familie bei. Als Shmuel geboren
wurde, gab es in unserem Haus ein Telefon und vor dem Haus ein Automobil.
Ein Koch, ein Dienstmädchen und ein Kindermädchen gehörten zu unserem
Haushalt. Im Laufe der Zeit stieg der Lebensstandard, nicht nur in unserer
Familie sondern für die Juden im Allgemeinen.
Zweiundzwanzig Monate
später wurde ich geboren und bekam den Namen Ďuro sowie Naftali. Unsere
Eltern sagten zu Shmuel: „Du musst jetzt den Kinderwagen freimachen, denn
ein neuer Kandidat ist gekommen, deinen Platz einzunehmen.“
Unsere frühe Kindheit war
glücklich und sorgenfrei. Das Nest zu verlassen war wohl das einzige
Problem, besonders wenn wir große Entfernungen zu Fuß gehen mussten.
Manchmal gingen wir zwei oder drei Kilometer zu Fuß ins Zentrum von
Bratislava statt die Fähre zu nehmen, die uns in fünf oder sechs Minuten
über die Donau gebracht hätte. Das Überqueren der Brücke an einem kalten und
windigen Tag war kein großes Vergnügen. Nichtsdestotrotz lebten wir zu
dieser Zeit wie im Paradies.
Wir rannten und spielten
im riesigen Garten, der ans Lagerhaus angrenzte. Oft gingen wir mit dem
Kindermädchen auch in den großen, schönen Park, der sich ganz in der Nähe
befand. Da unser Kindermädchen Deutsche war, war auch unsere Muttersprache
Deutsch. Obwohl wir mit anderen Kindern in der Nachbarschaft auf Slowakisch
kommunizierten, lernten wir die slowakische Sprache erst richtig in der
Schule.
Neben all den Spielen,
die wir als Kinder spielten, erinnern wir uns besonders daran, wie uns unser
Vater das Schwimmen in einem kleinen See nahe der Donau beibrachte. Wir
gingen dort auch gerne fischen. Unser Vater war eine recht pedantische und
von uns sehr respektierte Person. Wenn er uns zurechtweisen wollte, war es
nicht notwendig lange pädagogische Reden zu schwingen. Ein Blick genügte und
wir wussten Bescheid, wussten dass wir eine Grenze überschritten hatten,
oder dass es Zeit fürs Bett war. Mutter war viel sanfter und manchmal deckte
sie unsere Verfehlungen sogar.
In unserem Zuhause
herrschte ein großes Maß an aufrichtiger Liebe und gegenseitigem Respekt
vor. Das war ein wichtiger Teil unserer Erziehung.
Wir erinnern uns heute
noch an so manchen Unfug, den wir als Kinder ausgeheckt haben. Einmal
versuchte Shmuel einen Stein in ein Wasserbecken zu werfen. Er traf mich am
Kopf. Ein anderes Mal gingen wir in unseren besten Kleidern spazieren. Als
wir über die Straße gingen, blieb ich mit einem Fuß in den
Straßenbahnschienen stecken. Alle unsere Versuche, den Fuß wieder
freizubekommen, schlugen fehl: Es gab kein Vor und kein Zurück. Schließlich
mussten wir den Schuh aufzuschneiden, damit ich den Fuß herausziehen konnte.
Das war eine ziemliche Aufregung für uns beide. Für Shmuel gehören besonders
die Wanderungen entlang der Donau zu seinen eindrücklichsten
Kindheitserinnerungen.
Vor dem Krieg fuhren wir
oft zu Großmutter und Großvater nach Vrbové. Das war das Paradies
schlechthin. Hinter dem Haus der Großeltern gab es einen Garten mit Obst,
Gemüse und einem kleinen Bach.
Großmuter und alle unsere
Onkel und Tanten verwöhnten uns. Immer wenn wir aufs Fahrrad stiegen, rief
Großvater Gott an: „Shma Israel!“. Dort herrschte aber keine strenge
Disziplin wie bei uns zu Hause. Unsere Freude kannte keine Grenzen.
Was den Besuch der
öffentlichen Schule anbelangt, hier kurz Shmuels Bericht: Nur achtzehn
Monate lang ging ich in eine Slowakische Schule. Ich schloss die erste
Klasse mit Auszeichnung ab. Besonders erinnere ich mich daran, dass ich zu
Schulanfang der einzige war, der bereits die Uhr lesen konnte. Zu dieser
Zeit besaßen weder Lehrer noch Schüler selbst eine Armbanduhr und es gab nur
eine große Wanduhr in der Schule. Der Lehrer trug mir also auf: „ Jetzt
gehst du zur großen Uhr und sagst uns, wie spät es ist!“ Für mich war das
eine große Leistung – erstens, weil mir das die Chance bot, das
Klassenzimmer zu verlassen, und zweitens erfüllte es mich mit großem Stolz.
Ich erinnere mich aber auch noch gut daran, wie meine Klassenkameraden über
mein Slowakisch lachten, weil ich es noch nicht so gut konnte.
Im Großen und Ganzen
lebten wir bis 1938 ein ruhiges Leben. Den Sturm, der uns aus dieser
glücklichen Welt hinwegfegen sollte, fühlten wir Kinder noch nicht. Für uns
waren dies die einzigen Jahre eines normalen Lebens und sie sollten jäh
enden. Ab 1938 war dann nichts mehr normal. Mit Hitler an der Macht brach
bald auch der Krieg aus. Er dauerte sechs lange Jahre. Nach dem Krieg
übernahm ein kommunistisches Regime die Kontrolle in der Tschechoslowakei.
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Unsere Eltern und wir nach dem Krieg |
Shmuel und Naftali (der kleine) Fürst |
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